Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 Promille

Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit weniger als 1,6 Promille

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 06.04.2017 (Az.: 3 C 24/15) entschieden:

Ist nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille die Fahrerlaubnis durch das Strafgericht entzogen worden, darf die Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung nicht allein wegen dieser Fahrerlaubnisentziehung von der Beibringung eines positiven medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig machen. Anders liegt es, wenn zusätzliche Tatsachen die Annahme künftigen Alkoholmissbrauchs begründen.

Urheberrechtsverletzung - Verwertung des Bildes eines Hobbyfotografen

In den Gründen hat das Gericht wie folgt ausgeführt:

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die vorinstanzlichen Urteile sind deshalb zu ändern; die Beklagte ist zu verpflichten, die begehrte Fahrerlaubnis ohne vorherige Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu erteilen.

1. Für die Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens der Klägerin ist auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen; Anwendung finden die rechtlichen Regelungen, die auch das Berufungsgericht zugrunde zu legen hätte, wenn es zum Zeitpunkt des revisionsgerichtlichen Urteils entschiede (stRspr, vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 – 3 C 1.13BVerwGE 149, 74 Rn. 13 m.w.N.). Anzuwenden sind danach das Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBI. I S. 310), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 28. November 2016 (BGBI. I S. 2722), sowie die Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBI. I S. 1980), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBI. I S. 3083).

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG müssen Fahrerlaubnisbewerber zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet sein. Die Eignung besitzt nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG sowie § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 FeV, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Die Anforderungen sind insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 Satz 2 FeV). § 13 FeV konkretisiert die Fälle, in denen die Fahrerlaubnisbehörde im Zusammenhang mit einer Alkoholproblematik die Fahreignung durch ein ärztliches oder medizinisch-psychologisches Gutachten zu klären hat. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV ist die Eignung bei Alkoholmissbrauch ausgeschlossen; er liegt vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Gemäß Nr. 8.2 dieser Anlage kann von einer Eignung erst dann wieder ausgegangen werden, wenn der Missbrauch beendet und die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist. Für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung gelten die Vorschriften für die Ersterteilung (§ 20 Abs. 1 Satz 1 FeV).

2. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB), die auf einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss beruht, sei im Wiedererteilungsverfahren unabhängig von der Blutalkoholkonzentration die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen (im Anschluss an die Rechtsprechung des VGH Mannheim, Urteile vom 18. Juni 2012 – 10 S 452/10 – VBIBW 2013, 19 und vom 7. Juli 2015 – 10 S 116/15 – ZfS 2015, 539 sowie Beschluss vom 15. Januar 2014 – 10 S 1748/13 – VBIBW 2014, 348; diesem folgend auch OVG Greifswald, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 1 M 123/12VRS 127, 269 = juris Rn. 14 ff.; zustimmend Rebler, in: Müller/Rebler, Die Klärung von Eignungszweifeln im Fahrerlaubnisrecht, 2. Aufl. 2017, S. 159; offen lassend OVG Münster, Beschluss vom 21. Januar 2015 – 16 B 1374/14 – DAR 2015, 606 = juris Rn. 10 sowie OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Juli 2015 – OVG 1 S 123.14 – VerkMitt 2015 Nr. 55 = juris Rn. 4; ablehnend VG Würzburg, Beschluss vom 21. Juli 2014 – W 6 E 14.606 – DAR 2014, 541; VG Regensburg, Beschluss vom 12. November 2014 – RO 8 K 14.1624 – DAR 2015, 40; VG München, Urteil vom 9. Dezember 2014 – M 1 K 14.2841 – DAR 2015, 154; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 13 FeV Rn. 26b; Koehl, DAR 2016, 47; Mahlberg, DAR 2014, 419 und 603; Zwerger, DAR 2015, 157; kritisch auch Dronkovic/Kalus, DAR 2016, 191). Diese Auffassung ist mit § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a bis c FeV nicht vereinbar. Lag die Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille, so bedarf es bei einer einmalig gebliebenen Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss zusätzlicher Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis durch das Strafgericht genügt für sich gesehen nicht.

a) Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ist zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis zur Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, wenn nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen (Buchst. a). Gleiches gilt, wenn wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden (Buchst. b), ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (Buchst. c), die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war (Buchst. d) oder sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht (Buchst. e).

Zutreffend geht das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung davon aus, dass eine Gutachtensanforderung nur dann auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV gestützt werden kann, wenn Zusatztatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung der Wertungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV geeignet sind, die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen. Mit den Tatbeständen des § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV erfasst der Verordnungsgeber verschiedene Lebenssachverhalte, die je selbständig zur Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichten. Diese Tatbestände stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Vielmehr hat der Verordnungsgeber mit ihnen einen Rahmen geschaffen, bei dessen Ausfüllung auch die jeweils anderen Tatbestände und die ihnen zugrunde liegenden Wertungen zu berücksichtigen sind. Das gilt namentlich für die Tatbestände des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV. Lag die Blutalkoholkonzentration, mit der ein Fahrzeug geführt wurde, unter 1,6 Promille und wurde keine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen, so ist nach diesen Bestimmungen die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Diese Grundentscheidung des Verordnungsgebers ist nicht anders als im Rahmen eines Regelbeispielskatalogs bei der Auslegung des Tatbestands des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV zu beachten. Eine einmalig gebliebene Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille genügt ohne zusätzliche aussagekräftige Umstände nicht, um als sonstige Tatsache im Sinne dieses Tatbestands die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen.

b) Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten auch dann beizubringen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter den Buchstaben a bis c genannten Gründe entzogen war. In der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist geklärt, dass Entziehung der Fahrerlaubnis im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV auch die strafgerichtliche Entziehung auf der Grundlage von § 69 StGB ist (BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2013 – 3 B 71.12 – Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 13 Rn. 6). Hiervon geht das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend aus. Soweit es aus dem Beschluss des Senats allerdings ableiten möchte, mit der strafgerichtlichen Fahrerlaubnisentziehung wegen einer Trunkenheitsfahrt sei der Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV ohne weiteres erfüllt, so ist dies nicht tragfähig. Der Senat hat sich in seinem Beschluss auf die Aussage beschränkt, dass eine strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV in dem durch die Buchstaben a bis c gezogenen Rahmen zur Anforderung eines Fahreignungsgutachtens führe (a.a.O. Rn. 6).

c) Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens setzt nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift voraus, dass die Fahrerlaubnis aus einem der unter Buchstabe a bis c genannten Gründe entzogen wurde. Aus dieser Rückbindung folgt, dass auch im Zusammenhang mit dem Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV die Systematik und Wertung dieser Gründe zu beachten ist. Mit der Vorschrift nicht vereinbar ist es, sich hiervon zu lösen und die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung im Falle einer Trunkenheitsfahrt zum eigenständigen Sachgrund für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu machen.

d) Das Berufungsgericht meint, gegen dieses Verständnis der Vorschrift spreche, dass § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV überflüssig werde; eine überflüssige Regelung könne dem Verordnungsgeber nicht unterstellt werden. Richtig ist, dass es bedenklich wäre, einer Regelung durch Auslegung ihre praktische Bedeutung zu nehmen. Dem Verordnungsgeber ist es aber unbenommen, im Interesse der Rechtssicherheit Regelungen zu treffen, die der Klarstellung dienen. So wären beispielsweise auf die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis auch ohne die ausdrückliche Regelung in § 20 Abs. 1 Satz 1 FeV die Vorschriften über die Ersterteilung anzuwenden, denn auch die Neuerteilung ist eine Erteilung der Fahrerlaubnis. Eine klarstellende Regelung macht gerade auch im hier streitigen Zusammenhang Sinn, in dem die Tragweite einer strafrichterlichen Fahrerlaubnisentziehung in Frage steht.

e) Zu Unrecht beruft sich das Berufungsgericht für seine Auffassung auf den Vorrang des Strafverfahrens und die Bindung an das Strafurteil. Nach § 3 Abs. 3 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen; ordnet das strafgerichtliche Urteil eine Sperre für die (Neu-)Erteilung einer Fahrerlaubnis an, so darf innerhalb der Sperrfrist keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden (§ 69a Abs. 1 StGB). Unter welchen Voraussetzungen nach Ablauf der Sperrfrist die Fahrerlaubnis neu erteilt werden darf, ergibt sich daraus nicht. Auch die weiteren Bindungen an das strafgerichtliche Urteil führen nicht weiter. Gemäß § 3 Abs. 4 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde in einem Entziehungsverfahren insoweit nicht zum Nachteil des Fahrerlaubnisinhabers vom Inhalt des Urteils abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Diese eng umrissene Bindungswirkung, die sich in der komplementären Begründungspflicht des § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO spiegelt, ist in vorliegendem Zusammenhang ebenfalls ohne Bedeutung. Es geht weder um die Entziehung der Fahrerlaubnis noch darum, von dem strafrichterlichen Urteil zum Nachteil des Betroffenen abzuweichen. Jenseits der Sperrfrist hat der Gesetzgeber eine Bindung an die auf strafgesetzlichen Bestimmungen beruhende negative Eignungsbeurteilung nicht vorgesehen.

Aus den Grenzen der Bindungswirkung ergibt sich im Übrigen zugleich, dass die Sperrfrist, die für deren Dauer und Ende gegebene Begründung und ihr Ablauf die Fahrerlaubnisbehörde im nachfolgenden (Neu-)Erteilungsverfahren nicht binden (in diesem Sinne bereits BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1963 – 7 C 30.63 – BVerwGE 17, 347 <348 ff.>). Die Sperrfrist gibt nur den Mindestzeitraum vor, während dessen der Betroffene als ungeeignet anzusehen ist. Ob die eignungsausschließende Gefährlichkeit darüber hinaus anzunehmen ist, ist im Anschluss daran von der Fahrerlaubnisbehörde eigenständig zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 1987 – 7 C 87.84BVerwGE 77, 40 <44 f.>).

f) Weiter ist das Berufungsgericht der Auffassung, die strafgerichtliche Feststellung der Fahrungeeignetheit sei als Zusatztatsache zu berücksichtigen, auf deren Grundlage auch bei einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen sei. Eine solche Bedeutung kommt der strafgerichtlichen Feststellung nicht zu.

aa) Nicht weiter zweifelhaft ist, dass ein strafgerichtliches Urteil tatsächliche Feststellungen enthalten kann, die als Zusatztatsachen im Falle einer Blutalkoholkonzentration, die für sich gesehen die Anforderung eines Gutachtens nicht rechtfertigt (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV), die Annahme von Alkoholmissbrauch gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV begründen können. Derartige tatsächliche Feststellungen können – wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat – grundsätzlich dem Erteilungsverfahren zugrunde gelegt werden. Tatsächliche Feststellungen, die jenseits der strafgerichtlichen Eignungsbeurteilung geeignet wären, die Annahme von Alkoholmissbrauch zu begründen, enthält der Strafbefehl des Amtsgerichts jedoch nicht.

bb) Folglich bezieht sich das Berufungsgericht auf die Eignungsbeurteilung als solche, die als wertende Erkenntnis des Strafgerichts der Fahrerlaubnisentziehung zugrunde liegt. Die auf der Grundlage des § 69 StGB getroffene Eignungsbeurteilung kann für sich gesehen nicht als eine Zusatztatsache im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV herangezogen werden. Hierdurch würde die in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV vorgeschriebene Bindung an die Gründe des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c FeV und namentlich die Wertung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV weitgehend unterlaufen, was auch das Berufungsgericht einräumt. An die Stelle der Voraussetzungen der Fahrerlaubnis-Verordnung für die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens im Neuerteilungsverfahren träte die auf dem System des Strafrechts beruhende, hinter der Fahrerlaubnisentziehung stehende strafgerichtliche Eignungsbeurteilung. Das ist weder im Strafgesetzbuch noch in § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV vorgesehen.

Richtig ist allerdings, dass die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung nicht anders als die Fahreignungsprüfung im Verwaltungsverfahren dem Schutz der Verkehrssicherheit dient, also präventiv ausgerichtet ist. Entgegen den Ausführungen des Vertreters des Bundesinteresses zielt die strafgerichtliche Fahrerlaubnisentziehung nicht auf die Sanktionierung der jeweiligen Trunkenheitsfahrt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stimmt der in § 69 StGB verwendete Begriff der Ungeeignetheit inhaltlich mit demselben in den einschlägigen Vorschriften des Straßenverkehrs- und Fahrerlaubnisrechts verwendeten Begriff überein. Das folge schon daraus, dass – wie die Materialien zum ersten Straßenverkehrssicherungsgesetz 1952 belegten (vgl. BT-Drs. 1/2674 S. 8 und 12) – mit der Übertragung der zuvor ausschließlich den Verwaltungsbehörden zugewiesenen Aufgabe der Entziehung der Fahrerlaubnis „auch“ auf den Strafrichter letzterer der Sache nach eine Ordnungsaufgabe der Fahrerlaubnisbehörde wahrnehme. Maßstab für die Entziehung der Fahrerlaubnis sei deshalb entsprechend der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung auch hier die in die Zukunft gerichtete Beurteilung der Gefährlichkeit des Kraftfahrers für den öffentlichen Straßenverkehr (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 27. April 2005 – GSSt 2/04BGHSt 50, 93 <100> = juris Rn. 22).

Trotz dieses Gleichlaufs ist jedoch nicht zu übersehen, dass die Spruchpraxis der Strafgerichte von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB geprägt ist. Nach dieser Vorschrift ist bei einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) insbesondere in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit (ab 1,1 Promille, vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90BGHSt 37, 89) und selbst bei relativer Fahruntüchtigkeit (ab 0,3 Promille in Verbindung mit einer alkoholbedingten Ausfallerscheinung) in der Regel die Fahrerlaubnis zu entziehen. Entsprechend ist nicht die Fahrerlaubnisentziehung weiter begründungsbedürftig, sondern das Absehen hiervon (vgl. § 267 Abs. 6 Satz 2 StPO). Im Neuerteilungsverfahren bedarf es hingegen bei einer Blutalkoholkonzentration unter 1,6 Promille nach der Wertung des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV zusätzlicher tatsächlicher Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch im Sinne des Fahrerlaubnisrechts. Auch im vorliegenden Fall beschränkt sich das Urteil des Amtsgerichts auf die Feststellung, die Klägerin habe infolge Alkoholkonsums fahruntüchtig einen Pkw geführt, eine Blutprobe habe eine Alkoholkonzentration von 1,28 Promille ergeben.

g) Schließlich lässt sich das Regelungssystem des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d i.V.m. Buchst. a bis c FeV nicht unter Hinweis auf die Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV in Frage stellen. Sie enthält eine Aufstellung häufiger vorkommender Erkrankungen und Mängel, die die Fahreignung länger beeinträchtigen oder aufheben können und nimmt für diese eine Bewertung des Regelfalls vor, die für Abweichungen im Einzelfall offen ist (vgl. Vorbemerkung der Anlage). Nr. 8.1 der Anlage verneint die Fahreignung im Falle des Alkoholmissbrauchs und fügt in Klammern hinzu, Missbrauch liege vor, wenn das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden könne. Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt zu erwarten ist, dass der Betroffene das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum auch künftig nicht hinreichend sicher wird trennen können, ergibt sich hieraus nicht. Der Verordnungsgeber hat 1998 auf der Grundlage seines damaligen Erkenntnisstands angenommen, dass von einem fehlenden Trennungsvermögen nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt erst bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr ohne weiteres auszugehen ist. Dass diese Annahme heute gänzlich unvertretbar wäre, ist nicht ersichtlich. Es ist Sache des Verordnungsgebers, diesen Grenzwert gegebenenfalls neu zu bestimmen. Wie der Vertreter des Bundesinteresses in Übereinstimmung mit dem für eine Verordnungsänderung zuständigen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mitgeteilt hat, prüft die Bundesanstalt für Straßenwesen, ob es gerechtfertigt ist, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bereits nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Promille oder mehr zwingend vorzusehen.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Jenseits der strafgerichtlichen Fahrerlaubnisentziehung hat es das Vorliegen von Zusatztatsachen im Sinne von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV verneint. Das ist mit Bundesrecht vereinbar. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen lassen sich aus dem Umgang der Klägerin mit Melissengeist keine sonstigen Tatsachen im Sinne dieser Vorschrift entnehmen. Auch im Übrigen hat das Berufungsgericht das Vorliegen relevanter Anhaltspunkte, etwa das Fehlen von alkoholbedingten Ausfallerscheinungen, die auf eine gewisse Giftfestigkeit schließen lassen, verneint (UA S. 9 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Beklagte im Revisionsverfahren nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen, sie sind daher bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO). Es ist auch nicht zu erkennen, dass das Berufungsgericht bei der Würdigung des Sachverhalts einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.

4. Nach der vom erkennenden Senat ausgesprochenen Verpflichtung der Beklagten ist es ihr verwehrt, die Neuerteilung der beantragten Fahrerlaubnis wegen der von der Klägerin begangenen Trunkenheitsfahrt, deren Begleitumständen und der im Anschluss daran vom Strafgericht angeordneten Fahrerlaubnisentziehung von der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig zu machen. Ob die Beklagte aus einem anderen der in § 2 Abs. 4 StVG und § 11 Abs. 1 FeV genannten Gründe an einer sofortigen Fahrerlaubniserteilung gehindert sein könnte, war nicht Streitgegenstand.

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